Fixed Mindset vs. Growth Mindset: Wie man Potential weckt/zerstört
„Weil ich Angst habe.“
„Wovor?“ frage ich.
„Naja, wenn ich die Zahl weiß und sie ist mir zu niedrig, dann kann das sehr negative Folgen für den Selbstwert haben. Und man kann sie nicht ändern. Man schleppt sie ein Leben lang mit sich herum.“ erwidert sie.
Ich saß mit meiner Kommilitonin im Unicafé. Der Cappuccino in der Linken stellte die Koffeinversorgung sicher, während die Rechte bedeutungsschwangere Gesten formulierte. Es ging darum, warum sie lieber keinen IQ-Test machen wollte.
„Du studierst im Master Psychologie an einer der besten Unis Deutschlands und hast Angst, dass du „nicht klug genug“ sein könntest?“ meine freie Hand öffnete sich fragend, ihr den Ball zuwerfend.
„Ja, nein…wenn du den IQ einmal weißt, kannst du nichts mehr ändern. Momentan habe ich noch eher das Gefühl, dass ich alles schaffen kann, weil ich keine konkrete Quantifizierung seiner Intelligenz habe, keine Grenzen.“
Ich hatte im Bachelor einen umfangreichen Intelligenztest gemacht. Ergebnis: Ernüchternd. Mit Hochbegabung hat das nichts zu tun. Kein Einsteinevic, nur der für Psychologen charakteristische Ausschlag nach oben für verbale Intelligenz. Dazu kommt, dass die Testergebnisse vermutlich auch noch nach oben hin verzerrt sind. Ich war zu der Zeit von Intelligenztests besessen und habe in den zwei Wochen zuvor zahlreiche Online-Intelligenztests gemacht, war also mit den Aufgabentypen sehr vertraut. Das führt zu Übungseffekten: Ein substantieller Anteil des Testergebnisses ist nicht auf die zu testende Fähigkeit (Intelligenz), sondern auf die Übung im Umgang mit den Testaufgaben (z.B. Zahlenreihen) zurückzuführen. Verdammt! Warum habe ich damals nur meine Grenzen schon aufgedeckt?
Fixed Mindset vs. Growth Mindset
"Akzeptiere niemals deine Grenzen."
-Vladimir Putin (Spaß, Spaß. Chill mal. Das Zitat ist von dem Autor Paulo Coelho)
Machen wir lieber schnell weiter, bevor der KBG das Café stürmt, in dem ich gerade schreibe.
Die Weltsicht, dass Menschen mit bestimmten Talenten und unveränderlichen Fähigkeiten geboren werden, entspricht nach Carol Dweck einem Fixed Mindset. Ein hartes, starres Fixed Mindset ist ein angestaubtes, veraltetes, pessimistisches Mindset. Es lässt mich häufig haareraufend auf Situationen blicken, denn es zerstört eines der kostbarsten Dinge evar: Potential.
Lass mich erklären.
Fixed Mindset: Von klugen Schülern und talentierten Sportlern
In der Welt des Fixed Mindset ist der gute Schüler klug, der Spitzensportler talentiert. Es wird die Intelligenz des Schülers gelobt („Karl ist so ein kluger Bursche.“) und das Talent des Sportlers („Bodo der Boxer mit seinem unorthodoxen Stil ist ein Naturtalent.“). Das Problem bei diesem Mindset ist, dass angeblich fixe, angeborene, unveränderliche Fähigkeiten oder Eigenschaften gelobt werden, nicht jedoch das Kontrollierbare: Anstrengung.
Langfristig haben fixe Mindsets häufig negative Auswirkungen. Angenommen, der kluge Karl bekommt eine schlechte Note, weil er sich unzureichend vorbereitet hat. Nach der Logik des Fixed Mindset spielt Anstrengung eine untergeordnete Rolle, die Hauptlast an der schlechten Note würde also die angeborene Fähigkeit – seine geliebte Klugheit! – tragen. Aber er ist doch nicht dumm! Das kann nicht sein! Ein Ausweg muss her. Die schlechte Leistung wird auf etwas unkontrollierbares fernab von der eigenen Fähigkeit abgeschoben: „Der Lehrer mag mich nicht.“, „Ich war etwas krank.“, „Mein Tischnachbar hat mich mega abgelenkt.“. Eine davon sollte es tun.
Das Problem bei diesem Mechanismus ist langfristig, dass nicht die Anstrengung hochgefahren wird – an der hat es ja angeblich nicht gelegen – sondern lediglich der Selbstwert durch Ausreden geschützt, bzw. der unerträgliche Zustand eines für ein Mindset, das nur von unveränderlichen Fähigkeiten ausgeht, unerklärlichen Ereignisses durch Schuldzuweisungen aufgelöst wird. Karl wird langfristig immer ausgeklügeltere Ausreden finden, statt seine Anstrengung hochzuschrauben.
Ebenso können positive Ergebnisse mit einem starren Fixed Mindset langfristig weniger gute Folgen haben. Angenommen, Bodo der Boxer gewinnt ein paar Kämpfe und wird stets für sein herausragendes Talent gelobt. Mit der Zeit wird Bodo immer selbstbewusster. Die Reporter feiern Ihn. Er führt seine Gegner an der Nase herum, gewinnt jeden Kampf wie von alleine, ist ein Superstar. Er wird immer weiter hereingezogen in den Glauben, dass er etwas ganz besonderes ist, genetisch auserwählt, den Ring zu dominieren. Doch plö-
Vorbei.
So, wie man erst beim aufwachen begreift, dass man eingeschlafen war, hat Bodo erst gemerkt, dass er von seinem zweitklassigen Gegner auf die Bretter geschickt worden war. Gänzlich unverhofft. Den Kinnhaken hatte er nicht kommen sehen. Er hatte sich in der Sicherheit seines so hoch gelobten Talents gewogen und den Fokus beim Training verloren. Er hatte es nicht mehr ernst genommen und glaubte tief innen, dass er es eigentlich nicht wirklich nötig habe, sich stetig weiterzuentwickeln. Er glaubte an eine Sonderposition durch sein Talent, während sich seine Konkurrenten stetig schneller und schneller weiterentwickelt haben und ihn schließlich schlagartig folgende Wahrheit demonstriert haben: Jeder kann seine Fähigkeiten entwickeln, jeder kann wachsen.
Willkommen in der Welt des Growth Mindset, wo sich Potential mit höherer Wahrscheinlichkeit entfalten kann, weil es überhaupt die Chance dazu bekommt…
Growth Mindset: Vom Versagen und Lernen
In der Welt des Growth Mindsets sind Fähigkeiten durch Lernen veränderbar. Durch Bemühung und Anstrengung kann man sich weiterentwickeln, dazulernen. Man muss nicht beweisen, dass man so klug oder talentiert ist, dass man (zunächst) ohne größere Anstrengung zu den Besten gehört. Die Idee des kontinuierlichen Lernens und der damit verbundenen (fast) grenzenlosen Möglichkeiten wird hingegen mental umarmt.
Niederlagen oder Versagen werden mit einem Growth Mindset weitaus positiver aufgenommen, weggesteckt und verarbeitet. Man hat ja die Perspektive und den Glauben, sich weiterhin verbessern, lernen und wachsen zu können. Eine Niederlage bleibt nicht an dir, deiner Persönlichkeit kleben, da du ja stetig in Bewegung, im Wachstum bist und an die Veränderung von Fähigkeiten glaubst. Dadurch sinkt die Angst davor, Neues auszuprobieren – wenn ich „versage“ ist das nur der erste Schritt auf dem Weg zum Erfolg. Eine Niederlage bei einem Fixed Mindset hingegen kann tiefe Wunden in den Selbstwert reißen und lange negative Nachwirkungen haben, wie wir oben bei dem klugen Karl gesehen haben.
Michael Jordan, einer der besten und großartigsten Athleten dieses Planeten, wird häufig als Paradebeispiel für ein Growth Mindset angeführt. Erlauben wir uns anhand dieser Zitate von Michael einen Einblick in sein Mindset:
„I can accept failure, everyone fails at something. But I can’t accept not trying.“
„I’ve always believed that if you put in the work, the results will come.“
„I’ve missed more than 9,000 shots in my career. I’ve lost almost 300 games. 26 times, I’ve been trusted to take the game winning shot and missed. I’ve failed over and over and over again in my life. And that is why I succeed.“
„My attitude is that if you push me towards something that you think is a weakness, then I will turn that perceived weakness into a strength.“
„If you’re trying to achieve, there will be roadblocks. I’ve had them; everybody has had them. But obstacles don’t have to stop you. If you run into a wall, don’t turn around and give up. Figure out how to climb it, go through it, or work around it.“
Maximale Toleranz für Fehler und Versagen, WENN die Anstrengung, die Arbeit investiert wurde. Es mag gut sein, dass Michael Jordan auch genetisch überdurchschnittlich gut für das Bastketballspielen gebaut wurde – geschenkt. Er hat an der Startlinie ein paar Schritte Vorsprung. Andere möglicherweise noch mehr. Das Überqueren der Ziellinie wird allerdings von der Geschwindigkeit des Laufens (der Weiterentwicklung) bestimmt und nicht nur davon, ob man am Anfang ein paar Schritte weiter vorne starten durfte.
70/30
Wir Psychologen sagen aufgrund von Eigenschaften (Intelligenz, Persönlichkeitseigenschaften etc.) das Verhalten und auch den Erfolg von Menschen vorher. Das funktioniert sogar relativ gut. Auf der anderen Seite kommt nun Carol Dweck mit Ihrem Growth Mindset und erzählt mir, dass ich meine Fähigkeiten komplett verändern kann. Warum funktionieren dann die Vorhersagen der Psychologen, die mit festen Eigenschaften arbeiten, so gut? Wie lassen sich diese Perspektiven denn nun integrieren?
Nun, die Lösung, die ich für mich gefunden habe, könnte man so beschreiben: 70% growth / 30% fixed. Sieg nach Punkten für das Growth Mindset. Wir können uns sicherlich alle darauf einigen, dass wir alle eine bestimmte genetische Basis haben, die wir nicht durch Zauberhand ändern können. Es gibt Menschen, die haben einfach ein wahnsinnig flexibles, schnelles Denkvermögen, ein musikalisches Talent, eine offene Persönlichkeit, sagenhafte Körperbeherrschung, eine Statur, die für Basketball wie gemalt ist etc.
Wir haben also eine gewisse Basis von der wir ausgehen, unseren individuellen Startpunkt. Von diesem Startpunkt können wir uns aber mit eigenen Kräften in die eine oder die andere Richtung weiterentwickeln. Nach oben geht es jedoch viel leichter mit einem Growth Mindset, wie Dweck in mehreren Studien zeigen konnte. Die meisten Menschen unterschätzen die Möglichkeiten, die sich ihnen durch Weiterentwicklung und Lernen bieten und akzeptieren ihren aktuellen Status als unveränderbar. Dadurch funktionieren die Vorhersagen aus der Psychologie, die auf fixen Eigenschaften von Personen beruhen, so gut. Die meisten akzeptieren einfach den Status Quo.
Das tolle an Mindsets ist: Sie sind durch Nachdenken veränderbar. Nach dem Intelligenztest im Bachelorstudium war diese Zahl eine ganze Weile als Teil meines Selbstkonzepts. Fest veranktert in meinem Kopf. Sie war wie ein Stoppschild mit einer Zahl darauf, das sagt: „Das ist es, was du erreichen kannst, Marco. Alles dahinter erfordert einen Score von mindestens IQ=XXX, bitte wenden“. Mittlerweile ist es lediglich ein Score von vor 6 Jahren in einem Test, der versucht, eine eher mittelwichtige Eigenschaft abzuklopfen. Dass ich heute diesen Blog betreibe, der hunderten von Menschen hilft, ein Unternehmen aufbaue und an meiner Doktorarbeit arbeite, lag alles im Bereich hinter diesem Schild. Mein lernoffenes Mindset ist meine wertvollste Eigenschaft geworden.
Hoffentlich hilft dir dieser Post, dein Mindset mal abzuklopfen und auf mehr auf „Growth“ zu stellen. Ich hoffe ferner, er gibt dir den Anstoß, zu erkennen, dass das Leben voller kontrollierbarer Variablen ist.
Fail, embrace, learn.
Dr. Marco Stojanovic